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Nr. 4/1998 Torfexpedition

Ausgabe Nr.4 vom 5. Januar 1999

Expedition in den hohen Norden

Es begann alles an einem Dienstagabend in einer fröhlichen Stammtischrunde des Osterwalder Torfclubs bei Klemmer in der Gaststube. Einmal im Monat trifft sich hier eine kleine, aber hochrangige Expertenrunde um längst vergessen geglaubte Geschichten rund um den Torf wieder auszugraben. An diesem Abend erzählte Heinz Jathe seiner gespannt lauschenden Zuhörerschaft, wie er als kleiner Junge unter Einsatz seines Lebens zusammen mit seinem Großvater gewaltige Mengen von Torf gestochen hatte. Auf der linken Seite zwischen Mariensee und Mandelsloh sollte sich dies vor ungefähr 80 Jahren zugetragen haben.
Nachdem Heinz seine Geschichte zu Ende erzählt hatte, erwartete er wie immer den staunenden Beifall der anderen Torfexperten. Doch stattdessen beendete der Torfstecheraltmeister Heinz Körber die Stille mit den Sätzen: "Nie und nimmer ist zwischen Mariensee und Mandelsloh in den letzten 1000 Jahren Torf gestochen worden. Dort ist ja nicht einmal ein Moor!".
Die darauf folgende sekundenlange Stille durchbrach eine brüllende Stimme vom Nachbartisch mit den Worten: "Genau! Noch nie ist dort Torf gestochen worden. Dafür wette ich 50 Liter Bier und 6 Flaschen Birne und überhaupt, wo liegt dieser Mariensee eigentlich?“. Die Mitglieder des Torfclubs blickten erschrocken zum Nachbartisch, um festzustellen, wer sich da eingemischt hatte. Sie stellten schnell fest, dass die Stimme zu Werner Müller gehörte. Er hatte sich mit einer kleinen Abordnung des Oberender Schützenvereins an den Stammtisch herangepirscht und diesen heimlich belauscht.
Nachdem Heinz Jathe langsam seine Fassung wiedererlangt hatte, ging er auf die Wette von Werner ein. Alles wurde schriftlich niedergelegt und als oberster Schiedsrichter der stellvertretende Landrat Eberhard Wicke bestimmt. Werner wurde als Herausforderer damit beauftragt eine Expedition mit dem Oberender Schützenbus zu organisieren, um die Wahrheit der Geschichte von Heinz überprüfen zu können.

Viel Zeit ging danach ins Land, in der Gutachten und Gegengutachten erstellt, Berge von uralten Landkarten ausgewertet und auch Eingeborene aus den Urwäldern von Mariensee verhört wurden. Nachts wurden angeblich LKW´s gesichtet, die Torf von Osterwald nach Mariensee transportiert haben sollen und tagsüber PKW´s, die den Torf in die andere Richtung transportierten.
Am 25. Juli anno 1998 war es dann endlich soweit. Eine bestens ausgerüstete Expedition mit Proviant für mindestens vier Wochen machte sich auf den Weg in die Sümpfe von Mariensee. Der für solche Abenteuerreisen stets zur Verfügung stehende Hannes Scholz transportierte die internationale Forschergruppe mit 20 wackeren Ober- und Unterendern, sowie dem stellvertretenden Landrat sicher bis fast ans Ziel. In Mariensee nahm die Forschergruppe zur Sicherheit einen Eingeborenen, der auf den Namen Friedel hörte, als Führer an Bord. Um ihn für die lange Reise bei Laune zu halten, kaufte ihm die Forschergruppe noch allerlei ortsüblichen Tand ab, der angeblich in wochenlanger Handarbeit hergestellt sein sollte. In Wirklichkeit handelte es sich dabei vermutlich nur um den, bei den meisten Naturvölkern mittlerweile üblichen, billigen Plastikplunder aus Taiwan für dumme Touristen.
Aber der Kauf hatte sich trotzdem gelohnt, denn ohne Führer hätte die Expedition vermutlich Wochen gebraucht, um den Torf zu finden. So aber brauchte sie keine vier Stunden um ans Ziel zu kommen. Die ersten zwei Stunden davon chauffierte Hannes den Bus mit waghalsigen Manövern auf abgelegenen Trampelpfaden, die nie zuvor ein zivilisierter Mensch gesehen hatte, bis auch er mit seinem Können am Ende war und die Expedition zu Fuß fortgesetzt werden musste.

Nachdem sich der Tross über zwei Stunden durch tiefe Gräben, reißende Bäche und dichtes Unterholz gekämpft hatte, blieb der Eingeborene plötzlich stehen. Heinz Jathe rief sofort: "Hier ist es! In diesem Loch habe ich kurz nach dem Ersten Weltkrieg mit bloßen Händen*) Torf gestochen."
Werner Müller war natürlich immer noch nicht davon überzeugt, dass an dieser Stelle Torf vorhanden war. Daraufhin nahmen die von Heinz Körber ausgebildeten Torfstecher Hermann Münkel und August Gießelmann den Torfspaten und die Schaufel in die Hand, entfernten die Grasnarbe und begannen Torf zu stechen.
Nachdem sie ca. einen Kubikmeter Torf gestochen hatten, wurde der unparteiische Schiedsrichter Eberhard Wicke gefragt, ob Heinz Jathe denn nun die Wette gewonnen hätte. Der Schiedsrichter bestätigte dies zwar, aber Werner monierte, dass Heinz den Torf sicherlich von Osterwald nach Mariensee gebracht hatte. Daraufhin stellte der ehemalige Landrat durch eine Geschmacksprobe fest, dass der Torf eindeutig nicht nach Osterwalder Torf schmeckt.

Jetzt endlich gab auch Werner zu, dass man in der Nähe von Mariensee Torf stechen kann. Er war aber immer noch nicht davon überzeugt, dass Heinz die Wette tatsächlich gewonnen hat. In der Wette war immerhin die Rede davon, dass der Torf direkt links neben der Straße gestochen wurde und nicht kilometerweit davon entfernt.
Da Heinrich Körber und natürlich auch alle anderen nun endlich nach den anstrengenden Strapazen den ersten Schluck des verwetteten Bieres trinken wollten, erklärte er sich bereit die Kosten für die 60 Liter Veltins zu übernehmen. Heinz wurde dann trotzdem noch einstimmig zum Sieger der Wette erklärt. Nachdem sich die Expedition im Schützenhaus von Mariensee mit Brötchen, Mett, Jachtwurst, Tomaten, Gurken und Radieschen gestärkt hatte, ging es auf den anstrengenden und schwierigen Heimweg.

*) Anmerkung der Radaktion: Der Versailler Friedensvertrag sah Torfspaten als gefährliche Kriegswaffen an. Seine Benutzung war daher in Deutschland verboten.
hm